Football Leaks

"John" droht Prozess: Whistleblower oder Krimineller?

von Andreas Bellinger und Hendrik Maaßen

Mit mehr als 70 Millionen Football-Leaks-Dokumenten hat der 30 Jahre alte Portugiese Rui Pinto heimliche Machenschaften im Profifußball enttarnt. Nun soll ihm wegen einer angeblich versuchten Erpressung in seiner Heimat der Prozess gemacht werden. Ein Gericht in seiner ungarischen Wahlheimat entscheidet über eine mögliche Auslieferung. Die große Frage dürfte sein: Ist Pinto alias "John" ein wichtiger Whistleblower oder ein krimineller Hacker?

Hausarrest, Fußfessel - und die allgegenwärtige Angst vor der Auslieferung nach Portugal. Nach seiner Verhaftung am 16. Januar spielt sich das Leben von Rui Pinto, den die (Fußball-)Welt bis dahin nur unter dem Decknamen "John" kannte, auf wenigen Quadratmetern seiner Budapester Wohnung ab. Dem Macher hinter den Football-Leaks-Enthüllungen, der nach zwei Tagen in Haft mit Fußfesseln in seine Eineinhalb-Zimmer-Bleibe zurückkehren durfte und dort unter Hausarrest steht, drohen in seinem Heimatland Portugal ein Prozess und bis zu zehn Jahre Haft.

Für großes Aufsehen und zahlreiche Ermittlungsverfahren hat der 30-Jährige Ende vergangenen Jahres im professionellen Fußballgeschäft gesorgt, als er mehr als 70 Millionen, teils vertrauliche Dokumente dem "Spiegel" übergab, die das Nachrichtenmagazin mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC teilte. Das bislang größte Datenleck.

Versuchte Erpressung?

Ungarns Justiz muss nun bis zum 19. März über einen Auslieferungsantrag entscheiden. Cyberkriminalität und versuchte Erpressung lauten die Vorwürfe im europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft in Lissabon. Im Wesentlichen geht es darin offenbar um den Vorwurf, Pinto habe im Herbst 2015 versucht, die Agentur Doyen Sports mit Insiderwissen zu erpressen. Tatsächlich hielt er Material in den Händen, dessen Brisanz er aber nicht einzuschätzen wusste.

Deshalb versuchte er es auf eine Art, die er heute selbst als naiv bezeichnet. "Ich schrieb der Firma unter falschem Namen (Artem Lobuzov, Anm.d.Red.) eine Mail", erklärte er im ersten persönlichen Interview, das der "Spiegel" sowie der NDR und das französische Investigativportal "Mediapart" an zwei Tagen in Budapest geführt haben. "Ich bot an, dass ich für eine Summe zwischen 500.000 Euro und einer Million Euro bereit wäre, die Dokumente zurückzugeben." Er habe herausfinden wollen, "wie viel es sich Doyen kosten ließe, mich zum Schweigen zu bringen".

Anwalt: "Erkenne keine Gier"

"Es war eher ein kindlicher Streich. Er hat letztendlich selbst auf das Geld verzichtet, hat freiwillig widerstanden", sagte sein Anwalt, William Bourdon, dem "Spiegel". "Wir sind überzeugt, dass er dafür nicht verurteilt werden kann." Der 62-jährige Franzose gilt als erfahrener Jurist, der schon Edward Snowden vertreten hat. Für Bourdon steht außer Frage, dass auch sein Klient ein wichtiger Whistleblower und kein Hacker ist. "In seiner Haltung erkenne ich keine Gier." "John" habe aus enttäuschter Liebe zum Fußball und ohne eigene Absichten gehandelt. "Ich bin kein Hacker", beteuerte Pinto im NDR und betonte, nicht der Einzige hinter Football Leaks zu sein: "Mit der Zeit kamen immer neue Quellen hinzu." Wie er an die Informationen gekommen ist, verrät er bis heute aber nicht.

FIFA-Skandal als Auslöser

Sein Mandant erfülle alle Bedingungen eines Whistleblowers, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellt hat, sagte Bourdon. "Er sollte vor Strafverfolgung geschützt werden, sofern er außergewöhnliche Leistungen für das öffentliche Interesse erbracht hat. Es ist absolut offensichtlich, dass er genau das getan hat." Pinto sei einfach nur ein Fußball-Fan, der Gefahren für seinen Sport sah, der sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt habe. Hauptauslöser aber sei der FIFA-Skandal 2015 gewesen. "Parallel zu all den Verhaftungen beim Weltverband sah ich, dass es bei zahlreichen Transfers in Portugal zu Unstimmigkeiten kam. Dass immer mehr Investoren in den Markt drängten. Ich fing an, Daten zu sammeln."

Rettig: Straftat bleibt Straftat

"Die Informationen waren zumindest wertvoll." Andreas Rettig, der Geschäftsführer des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli, sieht im Sportclub des NDR aber auch die andere Seite der Medaille. "Man muss ganz ehrlich sein: Das Ausspähen von Daten ist eine Straftat." Das gehe eindeutig zu weit - Informationsbedürfnis hin oder her. "Alles, was strafrechtlich nicht in Ordnung ist, ist nicht zu akzeptieren", sagte der frühere Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL). Wie aber sieht er den Fall "John", der bis heute verschweigt, wie und woher er die brisanten Dokumente hat. "Ich habe keine Ahnung, wie er an die Daten gekommen ist. Das ist für mich aber der zentrale Punkt."

Strafe für "Lieblingsspieler" Ronaldo

"Ich bin überzeugt davon, dass ich das Richtige getan habe", sagte Pinto. "Dafür sind und waren meine Daten hilfreich." Auch sein Lieblingsspieler Cristiano Ronaldo bekam das zu spüren. Der Portugiese wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Nach einer Einigung mit den spanischen Behörden zahlte er 19 Millionen Euro, bekam eine zweijährige Haftstrafe, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Für manche ein Deal mit fadem Beigeschmack.

Pinto kooperiert mit einigen Ermittlungsbehörden. Vom Metropolitan Police Department in Las Vegas, das gegen Ronaldo ermittelt, liegt eine Anfrage vor. Eine US-Amerikanerin beschuldigt den Portugiesen der Vergewaltigung, was der für Juventus Turin spielende Weltstar bestreitet.

Brisante Steuer-Dokumente

"Es ist mir gleichgültig, ob mein Lieblingsspieler oder mein Lieblingsverein, der FC Porto, betroffen sind. Ich gebe alle relevanten Daten weiter", sagte der in Vila Nova de Gaia nahe Porto geborene Pinto. Dass er den Mächtigen im Milliardengeschäft Profifußball dabei oft genug und bisweilen nachhaltig auf die Füße getreten ist, liegt auf der Hand.

Im Kampf gegen seine Auslieferung hält Pinto weitere brisante Dokumente abseits des Fußballs in der Hinterhand: "Lehrbeispiele, wie man riesige Geldsummen außer Landes schaffen und auf Konten in Ländern wie den Seychellen, den British Virgin Islands transferieren kann."

Versiegt die Daten-Flut?

Diese Daten könnten für Steuerfahnder hochinteressant sein. "Aus den Dokumenten geht klar hervor, wer die Strohmänner, die Banker, die Mitwisser und Helfer hinter den Steuerbetrügern waren", sagte Pinto. Überdies habe die ungarische Polizei Festplatten sichergestellt, auf denen sich eine Unmenge weiterer, teilweise noch nicht gesichteter Dokumente befinden sollen. Möglich, dass es Kopien gibt und weitere Datenträger. Die Fragen danach ließ Pinto im Interview unbeantwortet.

Angst um sein Leben

Der Portugiese hat große Angst davor, dass seine fußballbegeisterten Landsleute Rache nehmen könnten. Im vergangenen Herbst veröffentlichte ein Magazin eine Geschichte über Pinto. Demnach würden portugiesische Ermittler ihn verdächtigen, den FC Porto mit belastenden Mails des Konkurrenten Benfica Lissabon versorgt zu haben, was das Land elektrisiert und Benfica in eine Krise gestürzt hatte. Er bestreitet die Vorwürfe, die auch im Haftbefehl nicht auftauchen.

Sein Foto sei damals in Portugal aber auf vielen Titelseiten erschienen. "Mein Facebook-Account und meine Mailadresse wurden mit Morddrohungen geflutet." Noch immer sieht er sich als Angriffsziel vor allem für Benfica-Anhänger. "Ich bin ein bisschen nervös, denn ich bin ein Ziel. Ich habe das Gefühl, dass ich aus einem portugiesischen Gefängnis, speziell aus einem Lissabonner Gefängnis nicht lebend herauskommen könnte."

Das NDR Recherche-Team zu "Football Leaks"

Katrin Kampling, Sven Lohmann, Hendrik Maaßen, Han Park, Nino Seidel, Birgit Wärnke

Hörfunk-Umsetzung
Moritz Cassalette, Holger Gerska, Hendrik Maaßen

Online-Umsetzung
Andreas Bellinger, Matthias Heidrich, Thomas Luerweg, Sebastian Ragoß

Dieses Thema im Programm:

Football Leaks | 02.02.2019 | 18:00 Uhr

Stand: 03.02.19 12:00 Uhr