Der deutsche Turner Andreas Toba ist den Tränen nahe. © dpa - Bildfunk Foto: Lukas Schule

Busemanns Kolumne

Wenn Olympiaträume platzen

von Frank Busemann

Der erste Wettkampftag in Rio brachte bei den deutschen Turnern gleich den ersten tragischen Helden. Das Verletzungspech von Andreas Toba beschäftigt auch den ARD-Kolumnisten Frank Busemann.

Eigentlich wollte ich was Schönes schreiben. Tag eins der Olympischen Spiele in Rio, da kommt man mal langsam in Wallung. Was Beschwingtes, über die Leichtigkeit des Sports, die Schönheit und Anmut  des Wetteiferns, den größten Moment einer Sportlerlaufbahn und jetzt holt mich die Härte des Sports ein. Nein, nicht Hajo Seppelts Dopingbeitrag. Das kennen wir. Schockt auch, aber überraschend kommt das nicht. Aber was ich am Samstag bei den Turnern erleben musste, das hat mir die Tränen in die Augen getrieben.

Da trainiert der Sportler Tausende von Stunden, probiert, versucht, superkompensiert. Er lernt mit der Niederlage des Scheiterns umzugehen und wird dadurch noch stärker. Er wird Kreismeister, Landesmeister, deutscher Meister, nimmt an Europameisterschaften und an Weltmeisterschaften teil, um dann die Krönung mittels Olympischer Spiele vorzunehmen. Er fiebert diesem Moment entgegen und hat ihm alles untergeordnet. Lebt in Askese und verzichtet auf jeden Unfug, der der Sache schaden würde. Und dann startet er endlich. Nach Jahren der Vorbereitung ...

Warum hier? Warum ich?

So geschehen und gesehen bei Andreas Toba. In der Qualifikation der Turner turnt er seine erste Bahn und verletzt sich schwer am Knie. Welch ein Schock. In Bruchteilen von Sekunden geht all die Freude, die Leichtigkeit, die Schönheit kaputt. Ich konnte es nicht fassen. Als Athlet sieht man sich plötzlich von außen. Unendliche Panik macht sich breit. Immerzu im Stakkato-Takt die Fragen. Ich? Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! WARUM? Warum hier? Ich? Nein! Nein! Nein! Bitte nicht! Und dann kommt diese Fassungslosigkeit, wenn plötzlich alles vorbei ist und der Körper für den olympischen Wettkampf aufgeladen ist, und nicht zeigen kann, was in ihm steckt. Das ist gemein und traurig. Alles aus. Vorbei.

Doch, dann kommt der Turner und der Mannschaftssportler Toba. Plötzlich steht er am Pauschenpferd und will turnen. Und er turnt gut. Wie oft muss er im Training gestürzt sein, dass er diese Verletzung für den Moment ausblenden kann? Das ist Härte. Oder Panik? Fehlende Einsicht? Es ist vorbei. Egal, was es ist. Das ist ein Olympiasportler, der seinen Traum leben wollte und dann urplötzlich zum Zuschauen verdammt ist.

Bei Toba helfen jetzt keine Worte

Jetzt helfen keine Worte, jetzt ist bei ihm nur Leere. Hoffentlich nicht lang. Irgendwann hört der Sportler auch wieder auf das gesprochene Wort seines Umfeldes, auf die Gesten der Freunde und Fremden. Irgendwann richtet er seinen Blick nach vorn und hat das Erlebte verarbeitet. Deshalb hat er es bis zu den Olympischen Spielen geschafft. Deshalb ist er so gut.

P.S.: Wie gefährlich Turnen ist, sahen wir unmittelbar nach Tobas Drama bei einem französischen Turner, der sich beim Landen Schien- und Wadenbein brach. Ich sah den abgeknickten Unterschenkel gefühlt für 24 Hundertstel Sekunden, dann schaute ich panisch weg. Mir wurde schlecht. Auch ihm alles Gute.

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 21.08.2016, 07.00 Uhr

Stand: 07.08.16 05:59 Uhr

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)