Die französische Judoka Clarisse Agbegnenou (r.) gewinnt Gold gegen Tina Trstenjak aus Slowenien. © dpa-Bildfunk Foto: Oliver Weiken/dpa

Die Busemann-Kolumne

Frank Busemann in Tokio: Ein beeindruckendes Miteinander

ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann ist beeindruckt von den japanischen Gastgebern. Und von Sportlerinnen, die trotz großer Rivalität extrem respektvoll miteinander umgehen.

Tokio ist ja schon ein Kulturschock, ich bin ja ausm (Ruhr-)Pott wech. Dortmund, Essen, Bochum. Da ist die Aussprache kernig und das Handling direkt. Kommst du in die Pommesbude, schreit dich der Küchenbulle an: "Wat willste!". Hier in Japan ist das anders. Ganz anders. Ganz, ganz anders. Im Playbook für Journalisten stand geschrieben, dass wir eigentlich direkt ins Epizentrum der Alles-Verbotenokrastie reisen.

Alles schien verboten zu sein in Tokio

Spazieren gehen: verboten, shoppen: verboten, Sightseeing: verboten, joggen: denk' nicht mal dran, also vergiss es. Ein Kreuz falsch auf dem Einreiseformular: zack, im nächsten Flieger wieder nach Hause. Zuwiderhandlung der extremst krassen Coronaregeln wird mit Geldstrafen bis 5.000 Euro und Haftstrafen geahndet. Und das sofort. Und ohne Diskussionen. Drei Lebensjahre lasse ich auf dem Weg zur Urne also schon in Japan liegen. Also noch in Deutschland in sicheren Gefilden.

Und dann kam ich hier an. Freundliche Begrüßung am Anfang. Noch freundlichere Begrüßung zehn Meter weiter. Das Einreiseprocedere war lang und länger, aber die japanischen Gastgeber nett und netter. Es heißt ja, dass die japanische Bevölkerung gegen die Olympischen Spiele ist, aber mitbekommen tue ich davon nichts.

Okay, ich sitze in Journalistenquarantäne, wechsle zwischen Hotel, IBC und Sportstätte, viel Abwechslung ist das nicht, aber es geht hier eher um das allgemeine Miteinander. Das ist so ganz anders, als ich es kenne. Die können auch anders und Regeln brechen sollte ich nicht. Habe ich nicht vor. Dafür habe ich zu viel Schiss.

Tolle Geste bei den Judo-Kämpferinnen

Im Finale heute bei den Judoathletinnen im Halbmittelgewicht empfand ich ein beeindruckendes Miteinander obwohl ich komplett unbeteiligt war. Die französische Olympiasiegerin Agbegnenou blieb im Moment des Triumphes auf ihrer Gegnerin liegen und war überglücklich. Natürlich. Die Unterlegene ließ es zu und es sah aus, als ob sich die Siegerin für Ihr Glück entschuldigen würde. Sie kuschelten förmlich. Ist das eigentlich erlaubt? Ich schau mal im 150-Seiten-Playbook nach.

Agbegnenou formte ein Herzchen in Richtung der Betreuer und nahm, als beide wieder standen, die Silbermedaillengewinnerin herzlich in die Arme und stemmte sie in die Höhe. Als habe die Verliererin gewonnen. Die war beeindruckt von der Güte ihrer Gegnerin. Ein schönes Miteinander. Ich weiß nicht, ob die japanische Lebensart abgefärbt hat oder dies ihrem Naturell entsprach, aber der Umgang mit seinem Gegenüber in der oft beschworenen westlichen Ich-Gesellschaft ist anders.

Eine Verbeugung gehört immer dazu

Natürlich finden wir hier in Fernost eine ganz andere Kultur vor, mit all ihre Vor- und Nachteilen, die für uns oft befremdlich und schwer vorstellbar sind. Aber ich jedenfalls fühle mich sehr wohl und denke, dass wir einfach mal darüber nachdenken können, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe.

Wir müssen nicht unterwürfig sein. Nett sein hat nichts mit Schwäche zu tun. Höflich dem anderen Respekt entgegenzubringen, ganz gleich welchem Stand, welcher Hautfarbe, welcher Religion, welcher Ethnie er angehört, sollten wir wie selbstverständlich im Sport finden und auch hier in Japan finden wir das oft. Das finde ich gut. So kann es sein.

Irgendwelche Sachen übergibt man immer mit beiden Händen und nimmt diese auch so entgegen. Dazu eine kleine Verbeugung und man freut sich zum Beispiel über das Wechselgeld. Nachgezählt habe ich hier noch nie. Wer so nett ist, der bescheißt nicht. Das ist mir fremd, ich habe immer eine Hand am Portemonnaie. Wenn zwei Hände vor dem Körper sind, ist der Rücken frei und die Kohle weg. Im Pott. Je tiefer die Verbeugung, desto höflicher soll es hier sein.

Seid nett zueinander!

Aus Dankbarkeit würde ich hier gern mit der Nase über den Boden rubbeln, damit ich mein Wohlfühlen zum Ausdruck bringen kann. Aber ich komm‘ aus dem Pott, da ist man im Beuger verkürzt, weil man immer im Kampfmodus ist. Hältst du zu Hause den Kopf zu tief, bekommt man einen reingehauen. Also, seid nett zueinander (sonst gibt’s Ärger).

P.S. Ist nur Spaß, bei uns gibt’s auch nette Menschen, die machen das nur anders. Wenn man die Pommes/Currywurst bestellt und sie bekommt, ist das doch echt nett. Danke.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 27.07.2021 | 01:05 Uhr

Stand: 27.07.21 18:45 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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