Die amerikanische Kugelstoßerin Raven Saunders bei der Siegerehrung. © IMAGO / AFLOSPORT Foto: Yohei Osada

Leichtathletik

Olympia - Kugelstoßerin Saunders droht Strafe durchs IOC

von Chaled Nahar

Raven Saunders droht eine Strafe durch das IOC: Die amerikanische Kugelstoßerin zeigte bei der Siegerehrung eine politische Geste, was Regel 50 der Olympischen Charta verbietet. Die Regel war vor den Spielen zwar gelockert worden - was jedoch nicht für Siegerehrungen gilt. Das IOC prüft den Vorgang.

Saunders hinterließ ein denkwürdiges Bild auf dem Podest. Sie kreuzte die Arme über ihrem Kopf, nachdem sie die Silbermedaille entgegengenommen hatte. Die Geste sollte unterdrückte Menschen unterstützen. "Es ist der Schnittpunkt, an dem sich alle Menschen treffen, die unterdrückt werden", sagte sie. Zugleich ging sie in die Offensive, was mögliche Sanktionen durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) angeht.

"Lasst sie versuchen, mir diese Medaille wieder wegzunehmen", schrieb sie bei Twitter unter der offensichtlichen Bezugnahme auf die Regeln des IOC, die politische Proteste einschränken. Sie überschreite eine Grenze, "obwohl ich nicht schwimmen kann". Mark Adams, Sprecher des IOC, sagte dass man sich des Themas annehmen werde. "Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Leichtathletik-Weltverband sowie mit dem Olympischen und Paralympischen Komitee der USA." Letzteres teilte mit, dass seiner Ansicht nach Saunders' Geste "respektvoll gegenüber ihren Gegnerinnen" gewesen sei und "nicht unsere Demonstrations-Regeln verletzt".

IOC lockerte die Regel 50 - aber nicht bei Siegerehrungen

In der Regel 50 der Olympischen Charta ist festgelegt: "Keine Art der Demonstration oder politischer, religiöser oder rassischer Propaganda ist in irgendeiner Weise in Olympischen Stätten, Austragungsorten oder andere Bereiche erlaubt." Die Kritik an dieser Einschränkung war vor den Spielen laut geworden, das IOC lockerte die Regel.

Nun ist es Athletinnen und Athleten erlaubt, Botschaften zu zeigen, allerdings nur auf Antrag und Genehmigung. Das gilt für Gespräche mit Medien, bei Pressekonferenzen, in der Mixed Zone, bei Teambesprechungen, in den sozialen Medien oder vor Beginn eines Wettkampfs. Die Botschaften müssen aber "im Einklang mit den Grundprinzipien der olympischen Bewegung stehen" und dürfen sich nicht gegen Personen, Länder oder Organisationen richten.

Nicht genannt als mögliche Bühne für Botschaften ist jedoch die Siegerehrung. Aber genau die nutzte Saunders - so wie einige vor ihr.

Politische Proteste bei Olympia haben Geschichte

Tommie Smith und John Carlos bei der Siegerehrung während der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Uncredited

Tommie Smith und John Carlos bei der Siegerehrung 1968

Als berühmtestes Bild bleibt die Siegerehrung nach dem 200-Meter-Lauf bei den Spielen 1968 in Mexiko, als die beiden Läufer Tommie Smith und John Carlos auf dem Podest die Köpfe senkten und eine Faust hoben. Die Geste war der "Black Power"-Gruß als Protest gegen Unterdrückung dunkelhäutiger Menschen. 1906 in Athen erklomm der irische Leichtathlet Peter O'Connor bei der Siegerehrung einen Flaggenmast und schwenkte die irische Flagge. Iren sollten damals unter britischer Flagge starten.

2016 in Rio de Janeiro kreuzte der äthiopische Läufer Feyisa Lilesa wie Saunders seine Arme, allerdings beim Zieleinlauf. Er wollte damals auf Menschenrechtsverletzungen gegen die Bevölkerungsgruppe der Oromo in seinem Land aufmerksam machen. Die Lockerung der Regel macht nun manche Botschaften möglich. Es bleiben jedoch einige Unklarheiten für die Athletinnen und Athleten.

Athletenvertreter: "Abhängig vom Wohlwollen des IOC"

"Die freie Meinungsäußerung scheint nun ganz vom Wohlwollen des IOC abhängig zu sein", sagte Maximilian Klein, Vertreter der internationalen Sportpolitik von "Athleten Deutschland", diese Woche gegenüber Reuters. Bei Twitter schrieb er zudem, es keine "ersichtliche klare Kriterien und Prozess, geschweige denn im Rahmen einer unabhängigen Überprüfung" gebe. "Das öffnet Tür und Tor für Willkür."

IOC-Sprecher Christian Klaue sagte im Deutschlandfunk-Podcast Players, dass jeder Fall im Kontext betrachtet werden müsse. "Eine schwarze Armbinde als Zeichen der Anteilnahme für eine aktuelle Situation ist gegebenenfalls anders zu bewerten als eine schwarze Armbinde zur Erinnerung an ein Ereignis, das schon lange zurückliegt." Das IOC habe eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die diese Anfragen "schnell und unbürokratisch" bearbeite.

Deutschlands Hockey-Kapitänin Nike Lorenz mit Regenbogenbinde am Knöchel © dpa-Bildfunk Foto: Swen Pförtner

Deutschlands Hockey-Kapitänin Nike Lorenz mit Regenbogenbinde am Knöchel

Aus deutscher Sicht nutzte eine Hockeyspielerin die neuen Möglichkeiten. Nike Lorenz durfte während der Spiele beispielsweise eine Regenbogenbinde am Knöchel tragen, die für Toleranz und sexuelle Vielfalt steht. Australiens Fußballerinnen zeigten eine Flagge der indigenen Bevölkerung ihres Landes, mehrere Teams knieten aus Protest vor den Wettkämpfen gegen Rassismus. Die Turnerin Luciana Alvarado aus Costa Rica kniete und hob dabei eine Faust.

Unklare Sanktionierung könnte abschrecken

Klein kritisiert noch etwas: Die Sanktionierung sei weiterhin unklar. Die internationalen Verbände hätten eigene Spielräume in der Regelauslegung. Und da die möglichen Konsequenzen unklar seien, schrecke dies Sportlerinnen und Sportler möglicherweise von einer Meinungsäußerung ab.

Bei Raven Saunders war das nicht der Fall. Ihre gekreuzten Arme gehören zu den sichtbarsten Einzelprotesten, die bisher bei den Spielen zu sehen waren. Was ihr nun als mögliche Sanktion droht oder ob von einer Strafe abgesehen wird, ist noch nicht bekannt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia 2020 in Tokio | 22.07.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 02.08.21 12:40 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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