Schießen

Schikane bei Para-Sportschützen? - Vorwürfe gegen Bundestrainer

von Andreas Bellinger und Robert Freis

Der Bundestrainer der paralympischen Sportschützen, Rudolf Krenn, wird von mehreren aktiven und ehemaligen Athletinnen und Athleten des Mobbings und Machtmissbrauchs beschuldigt. Hat der Behindertensportverband weggeschaut?

Sie haben sich lange nicht getraut, an die Öffentlichkeit zu gehen - fürchteten offenbar Repressionen und womöglich das Ende ihrer Karriere. Erst jetzt, wo auch in anderen Sportarten Athletinnen und Athleten sich offenbarten und über Demütigungen bis hin zum Machtmissbrauch zumeist einzelner Trainerinnen und Trainer berichteten, finden auch sie den Mut. Die vierfache paralympische Medaillengewinnerin im Schießen, Manuela Schmermund, und Elke Seeliger zum Beispiel, aber auch Sabine Kames und Philip Bernhard wollen nicht mehr schweigen. Im Zentrum ihrer Vorwürfe steht der Bundestrainer der paralympischen Schützen, Rudolf Krenn.

Einfluss auf den Wettkampf genommen?

"Irgendwann war ich am Ende meiner Kraft", erzählt Schmermund. "Mir ist so was noch nie in meinem Leben begegnet. So eine Art, mit Menschen umzugehen." In Athen 2004 hat sie die Goldmedaille mit dem Luftgewehr gewonnen, für Tokio hat sie sich nicht qualifiziert. Auch eine Folge der psychischen Belastung, wie sie meint. "Unabhängig davon, dass er mich des Öfteren einfach angebrüllt hat, dass ihm einfach mal so mein Gewehr runtergefallen ist bei einer wichtigen Ausscheidung und Qualifikation." Außerdem habe er Einfluss bei Wettkämpfen genommen. "Er hat sich immer dahintergestellt und bei einem schlechten Schuss laut losgelacht und gesagt: 'Haha, guck dir das an, die kann nichts.'"

Kritik auch an Verbands-Spitze

Von der Spitze des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) fühle sie sich belächelt und nicht ernst genommen. Außer zwei Gesprächsrunden sei nichts passiert, sagt Schmermund, die Vize-Präsidentin von Athleten Deutschland. DBS-Vizepräsident Karl Quade, der in Tokio zum 13. Mal Chef de Mission ist, sagte in der Sportschau zu den Anschuldigungen, die ihm nicht neu waren: "Wir haben das nach bestem Wissen und Gewissen aufgearbeitet unter Beteiligung aller. Den Schuh ziehe ich mir nicht an, dass da jemand gedeckt wird."

Konsequenzen gab es keine, schon gar nicht in personeller Hinsicht. "Im Moment kann ich nur sagen, Rudi Krenn genießt das volle Vertrauen und wird die Sportschützen-Mannschaft weiter betreuen."

Kames: "Lautstark eingeschüchtert"

Landestrainerin Sabine Kames berichtet im Gespräch mit der Sportschau von einem Fall, der sich während der Olympia-Ausscheidung für die Spiele in Rio de Janeiro im Frühjahr 2016 zugetragen habe. Damals sei sie als Trainerin des DBS dabei gewesen und auch als Schmermunds Privattrainerin. Ergebnislisten habe man ihr verweigert. "Da habe ich die fotografiert", so Kames. "Außerdem wurde vom Bundestrainerteam eine australische Sportlerin trainiert. Da habe ich auch ein Foto gemacht." Anschließend sei sie "lautstark eingeschüchtert" und zur Herausgabe ihres Handys gedrängt worden.

"Das war da so weit, dass ich so eine Angst hatte, abends im Hotelzimmer, dass ich noch die Tür abgeschlossen habe, noch einen Sessel vor die Tür gestellt habe", so Kames. "Weil ich wirklich berechtigte Angst hatte, dass man da noch versucht, an mein Handy zu kommen. Das hat emotional schon viel mit mir gemacht." Eigentlich fühle sie sich als taffe Frau, aber dieser Vorfall belaste sie noch immer.

Kritik "stört die Vorbereitung"

Mails, die der Sportschau vorliegen, belegen, dass Athleten und Athletinnen sowie Trainer sich innerhalb des Verbandes beschwert haben, doch es soll nicht reagiert worden sein. Von Hilferufen, von Angst, von Machtmissbrauch ist die Rede. "Wir haben das offiziell gemeldet", sagt der Landestrainer im Sportschützenverband Niedersachsen, Philip Bernhard. "Ich bin über den Landesfachverband gegangen, den Behindertensport Niedersachsen, die uns stets unterstützt haben und habe versucht zu helfen, wo es ging." Doch als Antwort sei nur gekommen: "Wir machen das nach den Spielen. Es stört momentan die Vorbereitungen."

Seeligers Konsequenz: Rücktritt

Auch Elke Seeliger, die seit acht Jahren an Syringomyelie, einer Schädigung des Rückenmarks, leidet und linksseitig gelähmt im Rollstuhl sitzt, redet jetzt über die offenbar schon seit Jahren anhaltenden Missstände. "Ich lasse mich nicht weiter kaputtmachen", hat sie dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" als Grund dafür genannt, dass sie dem Verband ihren Rücktritt nach Tokio bereits mitgeteilt hat.

Dank des niedersächsischen Behinderten-Sportverbandes, zu dem Seeliger gehört, durfte sie sich daheim vorbereiten - und wird auch in Japan nicht von Krenn betreut. Nur deshalb startet die 49-Jährige - ein letztes Mal. Der Behindertensportverband habe "mit der Athletin bereits vorab eine einvernehmliche Lösung gefunden", heißt es dazu in einer Stellungnahme des DBS vom Freitag (27.08.2021).

Bernhard: Krenn wird geschützt

Dem Bundestrainer fehle es vor allem an Empathie, berichtet "Der Spiegel" über vielfach hinter vorgehaltener Hand geäußerte Vorwürfe. Für Bernhard, der als Co-Trainer einst mit Krenn zusammengearbeitet hat, wiegt der Fall schwerer. "Leider mussten wir feststellen, dass nicht nur der Herr Krenn ein Problem darstellt. Das Problem liegt leider viel tiefer. Es liegt im System. Der Mann wird geschützt von Leuten, die ganz oben sitzen." In der DBS-Stellungnahme heißt es: Rudolf Krenn genieße als Bundestrainer Para-Sportschießen weiterhin das volle Vertrauen der Verbandsführung sowie von weiten Teilen der Nationalmannschaft.

Bundestrainer lehnt Stellungnahme ab

Anders als die Betroffenen, die in der ARD die Vorwürfe wiederholten, wollte sich Krenn auf Anfrage vor der Kamera der Sportschau nicht äußern. Auf die schriftlich vorgelegten Fragen antwortete Krenn am Freitagmorgen (27.08.2021), dass er derzeit keine Stellungnahme abgeben möchte. Dem "Spiegel" sagte er, die in dem Artikel aufgeführten Vorwürfe seien "als haltlose Unterstellungen und üble Nachrede zu werten". Quade betonte, dass "auf jeden Fall mit allen gesprochen worden ist. Deshalb wundert mich das auch, dass es jetzt nochmal hochkommt."

DBS will Gespräche führen

Doch die Vorwürfe wiegen schwer - und es drängt sich die Frage auf, warum der DBS dennoch am Bundestrainer festhält? In der Stellungnahme vom Freitag (27.08.2021) heißt es dazu: "Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) nimmt die Sorgen und Probleme der Athletinnen und Athleten sehr ernst und ist stets um konstruktive Lösungen bemüht. Zahlreiche der im Artikel genannten Vorfälle rund um die Nationalmannschaft Para Sportschießen wurden mit den Beteiligten in den vergangenen Jahren intensiv aufgearbeitet und kommuniziert. Der DBS nimmt die Vorwürfe nach wie vor sehr ernst und wird mit den aktuell Beteiligten unverzüglich ein erneutes Gespräch führen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 27.08.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 27.08.21 16:17 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
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12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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